- Ursprung der Menschheit
- Ursprung der MenschheitDie Frage nach dem Ursprung der Menschheit gehört zwar kaum zu den wichtigen aktuellen Themen, wird aber immer wieder gestellt. Wer hat sich nicht schon beim Anblick spielender Schimpansen im Zoo gefragt, inwieweit der Mensch mit dem Affen verwandt ist und was uns vom Tier unterscheidet? Wer hat nicht beim Anblick der Rekonstruktion eines »vorzeitlichen Menschen« — vielleicht des bekannten Neandertalers — darüber nachgedacht, wie, wo und wann es zur Entstehung des Menschen gekommen ist und welche Entwicklung er bis heute nahm? Fast alle diesbezüglichen Fragen harren bis heute einer gesicherten Antwort, bleiben vielleicht für immer ungeklärt. Fest steht vorläufig nur, dass die Entwicklung des Menschen nicht geradlinig aufsteigend verlief und dass die »Wiege der Menschheit« in Afrika stand. Beleg für letzteres ist die Tatsache, dass alle Hominidenfunde, die älter als 2 Millionen Jahre sind, vom »Schwarzen Kontinent« stammen.Jahrhundertelang wurde die Frage nach der Herkunft des Menschen allein mit den Aussagen der biblischen Schöpfungsgeschichte beantwortet. Einen ersten Anstoß, mit dieser Tradition zu brechen, gab Mitte des 18. Jahrhunderts der schwedische Naturforscher Carl von Linné. 1766 stellte er in der 12. Auflage seines Werkes »Natursystem« erstmals den Menschen unter der Bezeichnung Homo sapiens neben den Schimpansen und den Orang-Utan in die zoologische Ordnung der Primaten; sein System der Tiere und Pflanzen war jedoch noch statisch gedacht und ging von einer Konstanz der Arten aus. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellte als Erster der französische Naturforscher Jean-Baptiste de Lamarck die Unveränderlichkeit der Arten in Frage. In seiner »Philosophie zoologique« entwickelte er eine Abstammungstheorie (»Lamarckismus«), die jedoch durch die spätere Forschung nicht bestätigt werden konnte. Den endgültigen Beweis für die Veränderlichkeit der Arten erbrachte schließlich Charles Darwin 1859 in seinem Buch »Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl«. Durch die Analyse des von ihm zusammengetragenen Forschungsmaterials dokumentierte er hinreichend die Wandlungsprozesse der Arten und wies überzeugend nach, dass diese allein durch die Abstammung ihre natürliche Erklärung finden. Schon früh war Darwin davon überzeugt, dass seine Evolutionstheorie konsequenterweise auch den Menschen einschließen müsse, doch kam er erst 1871 in seinem Werk »Die Abstammung des Menschen« zu dem Urteil, dass Menschen und Menschenaffen von gemeinsamen Vorfahren abstammen. Die darwinsche Lehre war lange Zeit heftig umstritten, die Vertreter der traditionalistischen Auffassungen bekämpften sie vor allem wegen der in ihr enthaltenen Ablehnung der biblischen Schöpfungsgeschichte sowie der daraus folgenden Tatsache, dass der Mensch biologisch keine Sonderrolle einnimmt. Durch neuere Forschungsergebnisse ergänzt und modifiziert, hat sich schließlich Darwins Evolutionstheorie in der Biologie durchgesetzt und ist seitdem unbestritten gültig.Sich auf die Lehre Darwins stützend, vertraten bereits in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts der Engländer Thomas Henry Huxley und der Deutsche Ernst Haeckel die Anwendung der Evolutionstheorie auf den Menschen. Auf der Grundlage vergleichender morphologisch-anatomischer Untersuchungen wiesen beide auf die nahe Verwandtschaft des Menschen mit den heutigen großen Menschenaffen hin. Haeckel entwickelte die Vorstellung, dass zwischen den Affen (Pitheci) und den Menschen (Anthropi) eine Zwischenform, ein Bindeglied (»missing link«), existieren müsse, das er »Pithecanthropus« (Affenmensch) nannte und dessen Vorkommen er in der indonesischen Heimat des Gibbons vermutete.Skelettfunde als Basis für die Wissenschaft von den alten Menschen (Paläoanthropologie)Bei Düsseldorf wurden 1856 im Neandertal Skelettreste gefunden, die der Realschullehrer Johann Carl Fuhlrott als Reste eines »vorhistorischen« Menschen erkannte. Die Experten bestritten jedoch die Ergebnisse Fuhlrotts und missdeuteten den Fund. Sie hielten die Knochen lange für das Relikt eines aus der Mongolei stammenden russischen Soldaten aus der Zeit der Napoleonischen Kriege oder eines »rachitischen Idioten«. Erst 1901 konnte der Straßburger Anatom Gustav Schwalbe dem Neandertaler zu seiner Anerkennung als fossilem Menschen in der Fachwelt verhelfen. Als unproblematisch erwies sich dagegen die Einordnung der 1868 von Eisenbahnarbeitern in der Höhle Cro-Magnon im südfranzösischen Vézèretal entdeckten Reste von fünf Skeletten. Der jungpaläolithischen Kulturstufe Aurignacien zugewiesen (um 30000 v. Chr.), wurden die dortigen Funde zum Prototyp des bereits zur Art Homo sapiens sapiens gehörenden europäischen Cro-Magnon-Typus.Auch der nächste Aufsehen erregende Fund war anfangs stark umstritten. Beeindruckt von der »Missing-Link-Theorie« Haeckels, suchte der holländische Militärarzt Eugène Dubois in Indonesien nach dem Bindeglied zwischen Mensch und Affe. 1891 entdeckte er auf der Insel Java bei Trinil am Solofluss das Schädeldach eines frühen Menschen, später auch Oberschenkelknochen, die den aufrechten Gang erkennen ließen. Dubois wies diese Reste einem Vorfahren zu, den er in Anlehnung an Haeckel »Pithecanthropus erectus« (aufrecht gehender Affenmensch) nannte. Spätestens die ab 1936 durch Ralph von Koenigswald auf Java gemachten weiteren Funde vom Typ Pithecanthropus (vor allem bei Mojokerto und Sangiran) zeigten dann jedoch, dass es sich bei diesen Individuen keinesfalls um ein »Affe-Mensch-Bindeglied« handelte. Vielmehr erwies sich die Entdeckung des Holländers als das erste überhaupt entdeckte Exemplar eines Menschen der Art Homo erectus; die Homo-erectus-Unterart Pithecanthropus wird dementsprechend heute auch meist als »Javamensch« bezeichnet. 1907 entdeckte der Sandgrubenarbeiter Daniel Hartmann bei Mauer südlich von Heidelberg den berühmten Unterkiefer des »Heidelbergmenschen«, der mit einem Alter von 550000 bis 630000 Jahren lange als »ältester Europäer« galt. 1923 und 1927 wurden in altsteinzeitlichen Kulturschichten der Kalkhöhle von Zhoukoudian (50 km südwestlich von Peking) menschenähnliche Zähne gefunden, die der Anatomieprofessor Davidson Black als »Sinanthropus« (»Chinamensch«; heute auch als Homo erectus pekinensis oder »Pekingmensch« bezeichnet) beschrieb. 1933 tauchten bei Steinheim an der Murr, zwei Jahre später bei Swanscombe in Südengland Funde auf, die mit einem Alter von 300000 Jahren als frühe Formen des Homo sapiens klassifiziert werden können.Noch während die Wissenschaft mit den ersten Neandertaler- und Homo-erectus-Funden beschäftigt war, entdeckte 1924 der Anatom Raymond Dart bei Taung in Südafrika einen Kinderschädel, den er hinsichtlich seiner Merkmale zwischen Affe und Mensch einordnete. Der Fund erhielt den Gattungsnamen Australopithecus (»Südaffe«), weitere derartige Fossilien traten später in Südafrika bei Sterkfontein (1936), Kromdraai (1938), Swartkrans und Makapansgat (jeweils 1948) zutage. Das Ehepaar Leakey, das Anfang der Dreißigerjahre mit paläontologischen Arbeiten in der Olduvaischlucht in Tansania begann, legte dort 1959 den ersten in Ostafrika gefundenen Rest eines Australopithecinen, den »Zinjanthropus«, frei. Seitdem riss die Serie der Funde menschlicher Fossilien unterschiedlichsten Alters nicht mehr ab, das Bild der frühmenschlichen Geschichte wurde immer dichter, aufgrund verschiedener Forschungsmeinungen gleichzeitig aber auch vielfältiger. Weitere Fundgebiete kamen hinzu: die Umgebung des Turkanasees in Nordkenia, das Tal des Hadar in der Afarsenke (Nordostäthiopien), das Gebiet am Omofluss in Südwestäthiopien, neuerdings die Umgebung des Malawisees, verschiedene Stellen in Vorder-, Ost- und Südostasien sowie in Nordafrika. Bedeutend für die Erforschung der urmenschlichen Geschichte im europäischen Raum wurden Fundstellen wie beispielsweise Vértesszőlős in Ungarn, Bilzingsleben in Thüringen und Tautavel in den französischen Ostpyrenäen. Durch die in jüngster Zeit gemachten Entdeckungen bei Atapuerca in Nordspanien und Dmanisi in Georgien muss unter Umständen die Datierung der frühesten Besiedlung Europas durch den Menschen revidiert werden. Weltweit als ältester Vorfahr des Menschen galt seit 1974 der etwa 3,2 Millionen Jahre alte Skelettfund »Lucy«, seit 1994 wurden jedoch in Äthiopien, Kenia und im Tschad mehrere Australopithecinenreste entdeckt, deren Alter mit über 4 Millionen Jahren angegeben wird.Dr. habil. Dietrich ManiaWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Primaten: Die stammesgeschichtliche EntwicklungArdrey, Robert: Adam kam aus Afrika. Auf der Suche nach unseren Vorfahren. Deutsch von Ilse Winger. Neuausgabe Frankfurt am Main u. a. 1993.The Cambridge ancient history, begründet von John B. Bury. Herausgegeben von Iorwerth E. S. Edwards u. a. 12 Bände in 17 Teilbänden sowie 5 Tafelbände. Cambridge u. a. 1-41939-96. Teilweise Nachdruck 1989-95.Coppens, Yves: Die Wurzeln des Menschen. Das neue Bild unserer Herkunft. Neuausgabe Frankfurt am Main u. a. 1987.Darwin, Charles: Die Abstammung des Menschen. Übersetzt von J. Viktor Carus. Wiesbaden 21992. Englische Originalausgabe 1871.Darwin, Charles: Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl. Übersetzt von Carl W. Neumann. Stuttgart 1995. Englische Originalausgabe 1859.Evolution des Menschen, Band 1: Die Stellung des Menschen im System der Primaten, bearbeitet von Hartmut Rothe und Petra Reinhard. Tübingen 1990.Fischer-Weltgeschichte, Band 1: Vorgeschichte, herausgegeben von Marie-Henriette Alimen und Marie-Joseph Steve. Frankfurt am Main 1992.
Universal-Lexikon. 2012.